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  • Bücher, schnell gelesen: 1.710

    Lavie Tidhar – Maror (Suhrkamp, 2024)

    Gelesen: 29.05. – 02.06.2024 (netto 630 Seiten)

    Aus dem Englischen von der wunderbaren Conny Lösch (ein Qualitätsmerkmal).

    Alter Schwede, was für ein Brocken. James Ellroy brauchte 4 Bände für sein L.A. Quartett, Marlon James immerhin 844 Seiten für sein Jamaica Epos.

    Und dann kommt Lavie Tidhar daher und knallt uns ein ausgedehntes Epos über die Schattenseiten des Aufbaus von Israel um die Ohren. In nur 630 Seiten.

    Dabei macht er sonst SF-Romane und Comics.

    Das Buch fängt 2003 an, springt zurück in die 70er und dann in großen Schritten voran: 1977, wo die Armee anfängt Land im Westjordanland in jüdischen Grundbesitz umzuwandeln. 1982, als Israel Beirut einnehmen will (und in ihrem Dunstkreis Drogengeschäfte gemacht werden), 1987, als exil-Israelis den Kokainhandel in den US of A voranbringen. 1989, als ex-Militärs aus Israel mit erbeuteten Waffen aus dem Libanon die Milizen in Kolumbien trainieren.

    Und durch das ganze führt indirekt ein Master of Ceremonie, Cohen – ein Polizist – ist immer dabei und steuert das Gleichgewicht zwischen Staat, Polizei und den Nutznießern (aka Organisierter Kriminalität).

    Lavie Tidhar entwirft eine amoralische Welt, in der Gier und Kontrolle alle Konfessionellen und Politischen Ideologien überwiegen. Israel ist eben auch nur ein Staat wie jeder andere. Seine besonderen Probleme sind tatsächlich universell.

    Und darüber als hard-boilded Noir zu schreiben führt uns die Ursachen vor: Korruption der Macht und das Chaos, das sie erzeugt. Über die Grenzen hinaus.

    Ein wirklich großartiges Buch. Zu Beginn gibt es eine fast verwirrende Menge an Gewalt und Chaos, was teilweise ein wenig abgedroschen wirkt. Doch dann legt sich der Staub und etwas wirklich Faszinierendes entsteht: Eine coole Saga über viele Jahre und Generationen. Mit unglaublich vielen realen Bezugspunkten (Wikipedia wird dein Freund sein).

    Ich würde da sagen, das hat Don Winslow Qualität (als er sich noch Mühe gab). Unfassbar klar, die handelnden Personen echt und alles könnte tatsächlich so gewesen sein. Oder ist es noch so?

    Ich glaube da kommt noch mehr, her damit!

    Soundtrack dazu: Mofa Ha’arnavot Shel Dr. Kasper – In Red Dress, was sonst?

    PS: Auf jeden Fall auf der “Buch des Jahres” Liste.

  • Bücher, schnell gelesen: 1.704

    Bücher, schnell gelesen: 1.704

    Louisa Luna – Abgetaucht (Suhrkamp, 2024)

    Gelesen: 06. – 08.05.2024 (netto 446 Seiten)

    Aus dem amerikanischen Englisch von Karin Diemerling.

    Das erste Buch aus der Reihe in Deutsch (das zweite aus der Alice Vega Reihe) war ein ziemlich flotter Kracher, sehr modern und mit fast schon hektischem Tempo.

    Abgetaucht nimmt das Tempo etwas zurück und verlagert den Inhalt tief ins Ur-amerikanische: College Football Legenden vorne, eine miese Suppe aus Hinterwäldler-Nazis und INCEL’s hinten. Tief im Nord-Westen der US of A, in Ilona, Oregon.

    Alice Vega soll diesmal einen 1984 verwundenen College Football Star namens Zeb Williams suchen. Dieser wurde am 17.11.1984 zur Legende, als der kurz vor Schluss des Spiels den Ball nicht Richtung gegnerische Endzone trug. Sondern in die andere Richtung. Und aus dem Stadion lief. Und für immer verschwand.

    Seine ex-Freundin aus College Zeiten, eine Reiche Erbin, ist inzwischen verheiratet. Und ihr Mann beauftragt Alice mit der Suche. Als einziger Anhaltspunkt dient ein Foto … aus Ilona, Oregon.

    Dort trifft Alice zwar Leute, die Zeb gekannt hatten, aber schon lange ist er aus Ilona verschwunden. Dennoch bleibt Alice dort hängen und legt sich mit den lokalen Nazis an. Und holt sich eine blutige Nase und kriecht schwer verletzt nach Hause zurück.

    Im zweiten Anlauf wird das ganze dann aufgedröselt, Alice nimmt keine Gefangenen und …

    … kann sogar ihren Partner Caplan, der sich lieber um seine Tochter kümmerte, mit einbeziehen. Und das FBI.

    Das Buch ist nicht ganz so klasse wie Tote Ohne Namen, aber dennoch flott zu lesen und mit vielen falschen Fährten. Und einer schönen Abhandlung darüber, was für Irre die US of A hervorbringen. Aber das die Liebschaft mit Caplan in diesem Buch quasi im nichts endet, das passt irgendwie nicht.

    Und auch, dass Alice mit dem FBI und ihrem Hacker-Kumpel Bastard immer wieder ein Ass aus dem Ärmel zieht – das ist irgendwann unrealistisch.

    Weniger Groß, mehr Intim. Weniger Tempo, mehr Hintwerwäldlertiefe. Weniger Caplan, mehr Alice.

    Jetzt darf Suhrkamp aber auch bitte den Erstling aus der Serie veröffentlich, bevor Band 4 in Deutsch erscheint.

    Ich mag Alice Vega, ist irgendwie eine amerikanische Lisbeth Lasander.

    Soundtrack dazu: The Weirdos -The Hideout, was sonst?

    PS: Und Louisa Luna so?

    PPS: Und College Football 1984 so?

  • Bücher, schnell gelesen: 1.701

    Bücher, schnell gelesen: 1.701

    Sybille Ruge – 9mm Cut (Suhrkamp, 2024)

    Gelesen: 25.04.2024 (netto 222 Seiten)

    Bäng, noch ein Knaller.

    Das erste Buch von Sybille Ruge war aus meiner Sicht:

    Ein sehr cleverer Krimi aus einer aggressiven Ich-perspektive, wunderbar Sprunghaft und teilweise Assoziativ in seiner Erzählweise.
    

    Der Nachfolger setzt dem ganzen insofern die Krönung auf, als das die Heldin sich diesmal fast komplett zurücklehnen kann und ihre “Kundschaft” sich quasi selbst richtet.

    Diesmal ermittelt sie unter dem Tarnnamen Eve Klein in Herzen des Kapitalismus, im Stiftungswesen in Zürich. Wo ein deutscher Unternehmer eine Stiftungsfeigenblatt betreibt. Und da scheint was schief zu laufen.

    Extrem bissige Kapitalismuskritik, großartige Typen und das Elend der Reichen.

    Hab ich in dieser Härte und Bösartigkeit lange nicht so klar, so pointiert, gelesen. Und in so hohem Tempo, mit so viel bösartigem Sprachwitz.

    Und am Ende? Gekillt (vom Profi), Gesprungen (vom Dach), geköpft (als Warnung) und verloren (als Kind).

    Sollte am besten in der Schweiz umsonst verteilt werden. Was für eine elende Truppe, diese Banker, diese Reichen, diese Galeristen, diese Ehefrauen.

    Danke für die Freude dieses Elend systematisch seziert zu bekommen!

    Soundtrack dazu: Mother’s Ruin – Want More, was sonst?: