Tag: suhrkamp

  • Bücher, schnell gelesen: 1.761

    Bücher, schnell gelesen: 1.761

    Ivy Pochoda – Sing Mir Vom Tod (Suhrkamp, 2025)

    Gelesen: 14. – 19.03.2025 (netto 318 Seiten)

    Aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Lux.

    Bang! Mal wieder liefert Ivy Pochoda. Und wie!

    Die Bücher von ihr sind immer anders, immer weiblich und immer … etwas wirklich besonderes.

    Sing Her Down (so das amerikanische Original) spiegelt dabei komplett das Genre: Männer sind entweder Zuschauer, Opfer oder Werkzeug. Frauen dagegen sind Schuldig, im Knast, Verbrecher oder sowohl Opfer als auch Täter. Warum?

    Weil sie es können.

    Im ersten Teil des Buches geht um Gewalt in Gefängnissen und da sind Frauen aber so richtig Täter und Opfer, sowohl von weiblichen Mithäftingen als auch von Wärtern.

    Auf der einen Seite Florence „Florida“ Baum, Jung & Blond & aus reichem Elternhaus, die behauptet, man habe ihr Beihilfe zum Mord an einem Drogendealer angehängt, weil sie das Fluchtauto fuhr. Dabei liebte sie es einfach mit ihrem 1968er Jaguar zu cruisen.

    Gegenstück ist Diana Diosmary “Dios” Sandoval, eine kluge und schöne Latina, die wegen schwerer Körperverletzung an einem Mitschüler verurteilt wurde, nachdem die wohlhabende Mutter des Opfers die Staatsanwaltschaft angestachelt hatte. Sie kommt aus armen Verhältnissen und wurde nur durch eine Stipendium in die Welt der Reichen gespült.

    Bei umkreisen sich im Gefängniss, Dios versucht dabei immer wieder das Böse, die Gewalt, in Florida hervorbrechen zu lassen. Sie umkreisen sich wie Katze und Maus, wobei die Maus durchaus gefährlich ist.

    Das Buch spielt 2020 und Covid hat die US of A im Griff, auch in den Gefängnissen. Daher werden Gefangene vorzeitig Entlassen – auch Florida. Und Dios.

    Florida will nur zurück nach L.A. und ihren Jaguar fahren, Dios will immer noch Florida provozieren. Und so zieht sich eine Spur der Gewalt Richtung L.A. …

    … wo ein weiblicher LAPD Detektiv ohne Vornamen (aber mit Nachnamen Lobos) ihre Spur aufnimmt. Lobos hat ihre ganz eigenen Probleme, ihr Arbeitsleben wird durch häusliche Gewalt konterkariert.

    Ihr Ex-Mann, der an einer psychischen Erkrankung leidet, die durch die Covoid-bedingte Isolation in die Huldigung an jedwede Verschörungstheorie ausgefranst ist, befindet sich irgendwo auf der Straße. Lobos widmet sich abwechselnd der Suche nach den Flüchtigen und versucht, ihn unter der heimatlosen Bevölkerung von Skid Row zu finden.

    Lobos betrachtet diese eher persönliche Suche nach Abschluss und Sicherheit nicht als Ablenkung, sondern als Voraussetzung für ihren Job: „Wie kann sie auf der Straße für Ruhe sorgen, wenn sie es zu Hause nicht konnte?

    Aber Lobos ist auch die einzige, die Florida und Dios “lesen” kann und erkennt dass es bei ihrer Festnahme nicht nur darum geht, zu verstehen was sie zu ihren Taten angestiftet hat.

    Sondern auch darum ihre Taten nicht zu verharmlosen, indem man sie mit niedlichen Namen wie „Weibliche Helden“, „Femme Fatales“, „Thelma & Louise“ betitelt. Denn dabei geht es nur darum um ihre Taten zu verspotten oder zu verharmlosen, damit Männer begreifen, dass Frauen töten können.

    Doch was ist mit Lobos eigener Wut? Was wird sie mit ihrer unterdrückten Wut auf ihren Mann anfangen?

    Natürlich läuft alles auf einen Showdown zu, natürlich stehen am Ende Lobos, Dios und Florida an der Kreuzung Olypmpic & Western und es knallt.

    Perfekt!

    Ebenso perfekt ist, das die Story von Ivy Pochoda um eine Erzählerin ergänzt wird. Die Zellengenossin von Florida, Kace, erzählt uns die ganze Geschichte auf eine extrem passende Art. Und da sie Stimmen in ihrem Kopf hört, ist das eine vielstimmige Geschichte … fast ein Märchen. Oder eine griechische Tragödie.

    Oder eben das ganz normale Leben.

    Wow.

    Soundtrack dazu: Mala Vista – Western Beef, was sonst?

    PS: Danke – endlich mal wieder kein neu-erfundenes Cover!

    Ivy Pochoda – Sing Her Down (Farrar, Straus and Giroux, 2023)

    PPS: Und Ivy so?

  • Bücher, schnell gelesen: 1.744

    Bücher, schnell gelesen: 1.744

    James Kestrel – Bis In Alle Ewigkeit (Suhrkamp, 2024)

    Gelesen: 07. – 12.12.2024 (netto 424 Seiten)

    Aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Lux.

    Sein erstes deutsches Buch war ja sofort mein Buch des Jahres 2023 – das legt die Messlatte für dieses Buch seeeeehr hoch!

    Diesmal gibt es kein Noir-Epos, diesmal gibt es eine knallharte Privatdetektiv Story. Im englischen Original hat dieses Buch, von 2019 und damit vor “Fünf Winter” erschienen, den Titel Blood Relations und der passt so viel besser.

    Lee Crowe ist ex-Anwalt und nun als Privatdetektiv unterwegs. Sein Auftraggeber ist James Gardner, ein durch und durch windiger aber erfolgreicher Anwalt. Berät Stars, Sternchen und … zur Not auch Leute aus der Import Branche. Und die Aufträge sind dann schon einmal, naja, halb-legal.

    Als James Lee die Millionärin Olivia Gravesend als Klientin vermittelt nimmt er natürlich an. Denn Geld spielt keine Rolle bei der Suche nach dem Grund, warum ihre Tochter Claire tot auf dem Dach eines Rolls-Royce mitten in einem abgewarzten Viertel von San Francisco lag.

    “Bis in alle Endlichkeit“ spielt in der Gegenwart, mit allen aktuellen technischen Möglichkeiten (zB Drohnen) und Gefahren. Jede Spur, die Lee Crowe auf seiner Suche hinterlässt, kann eine zu viel sein. Auf der anderen Seite greift er auch auf alles zurück, was ihm erlaubt Spuren zu verfolgen.

    Was sich zuerst als breite Story darstellt wird jedoch schnell eine ziemlich zielgerichtete Suche nach einem Bösewicht, der Reichen das endlose Leben verspricht und dafür “Gefäße” braucht. Richtig, andere Menschen. Und Zwillinge, jede Menge Zwillinge.

    Die Story ist sehr schnell, ordentlich blutig und das Thema selbst durchaus düster. Lee Crowe als Held ist sowohl clever als auch lässig.

    Am Ende jedoch bleibt trotz des hohen Tempos (was das Buch für mich tatsächlich zum Pageturner machte) ein Mangel an echtem Noir: Das die Reichen und Schönen drinhängen bringt ein ehr oberflächliches Feeling, es fehlt irgendwie der “Noir Backdrop”.

    Dennoch ein gutes Buch zum verschlingen! Buch des Jahres? Ehr nicht.

    Soundtrack dazu: Cloak/Dagger – Jesus Had A Twin, was sonst?

  • Bücher, schnell gelesen: 1.736

    Bücher, schnell gelesen: 1.736

    Colin Niel – Darwyna (Suhrkamp, 2024)

    Gelesen: 26. – 30.10.2024 (netto 291 Seiten)

    Aus dem Französischen von Anne Thomas.

    Und wieder mal ein Buch, das ich liegengelassen hätte wenn es nicht von Thomas Wörtche herausgegeben worden wäre. Drauf steht “Thriller” aber das entspricht nicht wirklich dem Inhalt bzw. entpuppt sich die ganze Geschichte als …. anders.

    Ganz anders.

    Der Autor Colin Niel Colin Niel arbeitete als Agrar- und Forstingenieur im Bereich Biodiversität, u. a. mehrere Jahre in Französisch-Guayana. Kennt also den Dschungel.

    Und dort spielt auch diese kleine und etwas abseitige Geschichte. In einem Slum mit dem euphemistischen Namen Bois Sec (Trocknes Holz). Yolanda, die Mutter von Darwyne, schlägt sich so durch. Mit wechselnden Männern. Die irgendwann immer verschwinden. In einer Blechhütte oben am Berg. Direkt am Dschungelrand.

    Darwyne ist 10 und hat offensichtlich körperlich und geistig einen Hau. Liebt seine Mutter und liebt den Dschungel sowie die Tiere dort. Mehr noch als die Mutter. Die endlose Abfolge von neuen Vätern für Darwyne endet erst als die Sozialarbeiterin Mathurine einer alte anonyme Anzeige wegen “Kindeswohl” nachgeht.

    Sie erkennt in Darwyne eine verwandte Seele (die den Urwald und die Tiere liebt) und sieht nicht nur den Krüppel. Voller Energie, wohl auch angetrieben vom eigenen – unerfüllten – Kinderwunsch, kümmert sie sich um Darwyne.

    Und dann geht alles sprichwörtlich den Bach runter, der Slum versinkt in den klimawandelgemachten Regenfluten. Darwyne verschwindet im Urwald.

    Ungefähr 289 Seiten ist das Buch ehr eine detaillierte Lebensgeschichte mit einem Schuss Fantasy, darauf einen Floater Sozial- und Umweltkritik. Und dann, auf den letzten Seiten, dreht Colin Niel Opfer und Täter um und schafft ein echt knalliges Ende.

    Perfekt lakonische Story über ein Leben das wir uns in Deutschland so nicht vorstellen können. Und das Ende, wow! Das sitzt!

    Soundtrack dazu: No Fuck Bébé – La Jungle, was sonst?

    PS: Un Colin Niel so?