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  • Bücher, schnell gelesen: Teil 1.581

    Bücher, schnell gelesen: Teil 1.581

    Celeste Bell with Zoe Howe – Dayglo (Omnibus Press, 2019)

    Gelesen: 22. – 24.04.2022 (netto 200 Seiten, in Englisch gelesen, wird ehr nicht in Deutsch erscheinen)

    Und nochmal Punk, London, 1976. Allerdings keine Band mit einem großen Output: X-Ray Spex haben im Grunde eine Single und eine LP rausgehauen – dann sind sie implodiert weil die Sängerin (und Erfinderin der Band) implodiert ist.

    Das Buch wird der Künstlerin Poly Styrene mehr als gerecht, vor allem auch weil es im Großformat und mit vielen Fotos und Grafiken bestückt ist. Kein Wunder, nach ihrem Tot hat ihre Tochter Celeste ihr Erbe übernommen und sorgfältig kuratiert.

    Poly Styrene (eigentlich Marianne Joan Elliott-Said) war für die frühe Punk Zeit eine doppelte Aussenseiterin: Mutter weiß, Vater aus Somalia. Und eine Frau. Sie kam aus Brixton, war erst Hippie, dann versuchte sie sich erstmals als Sängerin … allerdings mit eine rein weißen Studioband:

    Sie hatte damit keinen Erfolg, versuchte es als Modeschöpferin und geriet damit in den Umkreis der Kings Road. Von da zu einem Konzert der Sex Pistols am 03.07.1976 (ihrem 19ten Geburstag) war es dann nur ein kurzer Weg.

    Alle ihre Energie steckte sie in ihre Idee einer Band: Design, Look und Sound (wenn auch der Sound der großartigen Germ-Free Adolsecents LP (ebenso wie die Sex Pistols LP) ein kleine wenig zuviel Hardrock abbekommen hat). Dennoch ein Meilenstein, vor allem auch wegen der Nutzung eines überraschenden Instruments – das Saxophon bestimmt hier den Sound.

    Und die Rampensau war Poly Styrene, schräg gekleidet in ihren eigenen Kreationen.

    Und dann war X-Ray Spex nicht mehr. Und Poly Styrene … verschwand. Irgendwann habe ich mitbekommen “die ist jetzt Hare Krishna” und damit war sie aus meinem Sichtfeld verschwunden. Die kleine BBC Docu “Who is Poly Styrene” gibt ein paar kleine Hinweise darauf das nicht alles in Ordnung ist.

    Fast Forward 1993: Mit etlichen Hamburgern bin ich in der Brixton Academy um ein Comeback von X-Ray Spex (mit Sham 69 und UK Subs) zu erleben. Und danach … wieder Funkstille.

    Denn was ich nicht wusste: Poly Styrene hatte durchaus ernste mentale Probleme und war wieder und wieder in Behandlung. Am Ende – viel zu früh in 2011 – starb sie mit 53 an Brustkrebs.

    Das Buch ist entlang der Zeitlinie aufgebaut, eine perfekte Mischung aus O-Ton von Poly Styrene, Oral History von Weggefährten und Memorabilia. Dazu imaginäre Briefe der Tochter an die Mutter (da diese früher auch oft mit ihrer Tochter über Briefe kommuniziert hat). Und jede Menge Huldigung für die Vorreiterrolle von Poly Styrene als weibliche Künstlerin. Vor allem die Riot-Girls aus den US of A erzählen wiederholt das sie erst spät über X-Ray Spex gestolpert sind … und hin und weg waren.

    Und warum? Darum:

    Some people think little girls should be seen and not heard

    But I think “oh bondage, up yours!”

    One-two-three-four!

    (Intro zu “Oh Bondage! Up Yours!)

    Perfekte Erinnerung – jetzt müsst ihr auch den Film gucken!

    Soundtrack dazu: Neneh Cherry – Germ Free Adolescent, was sonst?

    PS: Du möchtest mehr?

    At their Top:

    Celeste im Interview mit John Robb:

    Der Film (lohnt!):

  • Bücher, schnell gelesen: Teil 1.580

    Bücher, schnell gelesen: Teil 1.580

    Louie Shelley with Pete Shelley – Ever Fallen In Love (The Lost Buzzcocks Tapes) (Octopus Publishing, 2021)

    Gelesen: 19. – 22.04.2022 (netto 308 Seiten, in Englisch gelesen, wird ehr nicht in Deutsch erscheinen)

    Die Buzzcocks. Die Urväter des Pop Punks. Die, die das erste Konzert der Sex Pistols in Manchester am 04.06.1976 organisiert haben. Die, die dem Punk in Manchster die Initialzündung verpasst haben.

    Die, mit den tollen Platten. Die, mit den tollen Songs. Die, mit dem großartigen LP und Single-Design. Und die, die immer eine Flasche Champagner im Backstage-Rider stehen hatten – no Champagne, no Show.

    Pete Shelley (eigentlich Peter Campbell McNeish) ist am 06.12.2018 mit 63 viel zu früh an einem Herzinfarkt gestorben, dieses Buch ist dabei ehr ein Zufall als eine geplante Biographie: Louie Shelly, Journalistin, war schon länger im Buzzcocks Umfeld zugange und hatte mit Pete – der inzwischen aus London nach Estland weggezogen war, wo er ein ruhiges Leben mit seiner estnischen Frau Greta führte – lange Gespräche über seinen Werdegang und die Buzzcocks im speziellen. Das Ziel war ehr lose definiert und bevor es klarer definiert war … verstarb Pete.

    Das Buch beginnt mit Vorwörtern (Henry Rollins, Kid Strange) und einer Rückschau auf die Jugend von Pete im Leigh der 60er Jahre. Dann geht es am Zeitstrahl von Konzerten und Platten (vor allem Single) Veröffentlichungen die die Wort-für-Wort wiedergegebenen Gespräche.

    Das Buch verrät dabei wie im vorbeigehen viel privates, konzentriert sich aber weitestgehend auf die Musik: Wie ist ein Song entstanden? Wie wurde aufgenommen? Wie kommt der Rest dazu (Cover, Marketing, Touren). Spannend, aber der Leser merkt auch das das ganze noch im Status einer Materialsammlung war und die Zielrichtung nicht festgelegt war.

    Zum Glück gibt es ordentlich Material links und rechts, zB diese großartige Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben der Buzzcocks vom August 1977 bis August 1978 (die damals im Fan-Club Fanzine veröffentlicht wurde):

    (c) 2021 Octopus Publishing

    Das englische Pfund war damals so ca. 4 DM wert, die Buzzcocks zahlten sich also 120 DM pro Woche und hatten 2,8 Millionen DM Einnahmen und jede Menge Ausgaben – am Ende blieb ein Gewinn vor Steuern von ca. 12.000 DM über. Spannend wäre noch, wer Royalties kassiert hat – United Artists? Ihr Management?

    Da ich dort “advances” lese denke ich mal das sie damals wie alle anderen von den Plattenfirmen “ausgenommen” wurden. Der Vorschuss war ja immer der Trick eine Band unter Vertrag zu bekommen … und dann wurde dagegen verrechnet.

    Für jeden Fan ein must have, keine Frage. Vor allem weil es letztendlich wieder zeigt das es Bands gibt um Geld zu machen und es Musiker gibt, die einfach nur die Musik lieben (und damit ein Auskommen hinbekommen).

    Spoiler: Ein Teil der Buzzcocks Hit hatte Pete bereits 1973 für eine seiner ersten Bands geschrieben!

    Was bleibt? Das musikalische Vermächtnis – allein dieser Single-Output ist zum dahinschmelzen. Leider sind in meiner Sammlung nur 3 davon, zurecht sind die ordentlich bepreist bei Discogs.

    Der größte Teil schaffte es in die Charts. Und damals bedeutete das das tatasächlich jede Menge physische Singles in Plattenläden verkauft worden sind. Und jede ist es Wert rauf- und runter gehört zu werden.

    Was bleibt noch? Das visuelle Vermächtnis – es gibt kaum eine Band aus der frühen Punk Zeit die so viele ikonische Cover erschaffen hat bzw. durch Malcolm Garrett hat erschaffen lassen. Und ich liebe gut gemachte Cover für Singles und LP’s.

    Und natürlich Fotos wie dieses – gibt es ein bessere Illustration für einen Song?

    Buzzocks – Ficton/Romance

    Ich habe die Buzzcocks leider nicht oft genug Live gesehen, das ärgert mich dann doch. Aber in bester Erinnerung behalte ich sie und ihre Musik absolut. Danke Pete!

    Soundtrack dazu: Buzzcocks – Singles Going Steady, was sonst?

    PS: Wer tiefer eintauchen mag…

  • Bücher, schnell gelesen: Teil 1.579

    Bücher, schnell gelesen: Teil 1.579

    Nicole Galland – Master Of The Revels (William Morrow, 2021)

    Gelesen: 11. – 18.04.2022 (netto 543 Seiten, in Englisch gelesen, noch nicht in Deutsch erschienen)

    Die Fortsetzung von The Rise and Fall of D.O.D.O., was ja eine Gemeinschaftsarbeit von Neal Stephenson und Nicole Galland war – die logische (und inhaltliche) Fortsetzung hat Nicole Galland alleine fertiggestellt.

    Wie im ersten Band besticht die Geschichte auch durch die Darreichungsform: Handschriftliche Notizen, Chats, Dokumente, Waxtafeln … alle Kommunikationsformen die über alle Jahrtausende genutzt wurden finden sich hier wieder.

    Inhaltlich gibt es nichts neues (die Hexe Gráinne versucht die Vergangenheit so zu ändern das die Magie – und damit die Macht der Hexen – niemals ausstirbt). Und da sie sich das Ohr (sowie Verstand und Resourcen) des Chefs von D.O.D.O. (Department Of Diachronic Operations) gesichert hat ist sie gut dabei. Ihr Ziel ist es alles zu verhindern was zu technischem Fortschritt führt, am besten Jahrhunderte im vorraus.

    Die eigentlichen Helden aus The Rise and Fall of D.O.D.O. sind inzwischen outcasts, die von den Fuggern finanziert versuchen dieses zu verhindern. Wo der erste Band noch sehr weit war (und dank Neal auch sehr technisch), konzentriert sich Nicole Galland hier auf 3 Geschichten: Die Hauptgeschichte spielt im London von 1606, wo Gráinne versucht einen echten Zauberspruch in Shakespeare’s Mcbeth unterzubringen.

    Double, double, toil and trouble;

    Fire burn and cauldron bubble.

    http://www.shakespeare-online.com/plays/witcheschants.html

    Der Kampf um diese Zeilen dient dabei als Hintergrund um ziemlich tief in die Gesichte rund um Shakespeare und die Erstaufführung einzusteigen. Nicole Galland ist eine Shakespeare Expertin und kann hier aus dem vollen greifen: Da der genaue Zeitpunkt der Entstehung und der Veröffentlichung des von Mcbeth unbekannt ist und erst 1623 eine gedruckte Fassung entstanden ist bleibt viel Raum für viele alternative Realitäten (oder in D.O.D.O. slang “strands“).

    Neben dem London von 1606 spielt die Geschichte dann noch im Florenz der Renaissance und im Sizilien zur Zeit des römischen Imperiums.

    Alle drei Schauplätze kreiert Nicole Galland dabei extrem realistisch, das Verhalten der Menschen und ihre “normales” Leben sind ihr dabei sehr wichtig – und das bekommt sie auch gut hin.

    Dazu der ungleiche Kampf zwischen zwei Protagonisten, die zu unterschiedlichen Zeiten agieren (quasi auf zeitliche Distanz) und quasi nur indirekt aufeinandertreffen.

    Da ich Neal Stephenson für seinen technischen Ideen und Details schätze fehlt mir dieser Teil hier. Auch dürfte dieses Buch ohne Vorkenntnis des ersten Bandes nicht zu richtig Spass machen. Aber wer sich auf beide Bände einlässt bekommt ein echtes Lesevergnügen.

    Und lernt was.

    Soundtrack dazu: Theatre – Anytime At All, was sonst?

    PS: Und Nicole Galland so?