Tag: Die Andere Bibliothek

  • Bücher, schnell gelesen: 1.728

    Bücher, schnell gelesen: 1.728

    Shashi Tharoor – Die Zeit Der Finsternis (Aufbau Verlag, 2024)

    Gelesen:04. – 06.09.2024 (netto 403 Seiten plus 23 Seiten Nachwort von Mithu Sanyal)

    Aus dem Englischen übersetzt von Cornelius Reiber.

    Der englische Originaltitel geht ein wenig flotter zur Sache:

    Inglorious Empire: What the British did to India.

    Die Geschichte, wie das Britische Empire respektive die East India Company einen ganzen Subkontinent beherrschte, hatte mich irgendwie schon immer interessiert.

    Diese Buch gibt die Chance, die handelsüblichen Schlagwörter (“Die Briten haben das Land geeint”, “Die Briten haben die Industrialisierung gebracht”, “Die Briten haben Demokratie und Recht geschaffen”, “Die Briten haben Cricket eingeführt” etc etc) einmal pointiert aus Indischer Sicht kommentiert zu bekommen.

    Und da lernt der Leser dann schnell, anhand von Fakten, das einiges anderes war.

    ( (c) Aufbau Verlag 2024)

    Mitnichten hatte die East India Company und die britische Aristokratie eine andere Idee als Reichtum aus Indien nach England umzuverteilen. Auf dem Rücken der Inder.

    Mithu Sanyal kommentiert das in ihrem Nachwort auf den Punkt:

    Und dann recherchierte mein Mann 2015 im Internet, ob seine Familie auch Menschen versklavt hatte. Mein Mann ist Engländer, und die Briten haben ein Online-Register, in dem man das nachschauen kann. Ich sagte irgendetwas wie: »WTF?« 
    
    Und er erklärte mir, dass diese Listen entstanden waren, weil Großbritannien nach dem Verbot der Versklavung 1835 Wiedergutmachungen gezahlt hatte. Ich war beeindruckt, bis ich erfuhr, dass diese Gelder nicht an die Menschen, die versklavt worden waren, gegangen sind, sondern an die »Sklavenhalter«, die ja nun »Eigentum« verloren hatten. 
    
    Insgesamt 200 Millionen Pfund – oder nach heutigem Wert: 17 Milliarden Pfund; so viel Geld, dass Großbritannien dafür einen Kredit aufnehmen musste, den es 180 Jahre lang abbezahlte. Als Großbritannien 2015 endlich damit fertig war, tweetete UK Treasury stolz: »Millionen von Ihnen haben mit ihren Steuern zur Beendigung des Sklavenhandels beigetragen.« 
    
    Nein! Die britischen Steuerzahler:innen hatten Menschen alimentiert, die aus der Ausbeutung anderer Menschen Profit geschlagen hatten. Und die »Befreiten« mussten nach 1835 noch weitere sechs Jahre für ihre ehemaligen »Besitzer« arbeiten: 45 Stunden die Woche, ohne Bezahlung! 
    
    Dieses fehlende Wissen darüber, wie Kolonialismus unsere Sicht auf die Welt und vor allem auf die ehemals Kolonialisierten prägt, führt dazu, dass wir koloniale Narrative mit ermüdender Regelmäßigkeit reproduzieren.
    
    (c) Aufbau Verlag 2024
    

    Noch und nochmal ließen die Briten die Inder alles, aber auch alles, bezahlen. So oder so.

    Kolonialgeschichte, immer wieder Wert der Kolonialmacht rückblickend eine zu ballern!

    Das Buch selbst ist aus einem Redebeitrag von Shashi Tharoor anlässlich einer Debatte an der Oxford University entstanden. Es ist manchmal trocken, manchmal arg Wissenschaftlich aber am Ende … ein entschlossener Standpunkt.

    Passt, wenn auch – aus meiner Sicht – zu wenig historischer O-Ton.

    Soundtrack dazu: TMA – Dying The Empire Way, was sonst?

    PS: Book Collectors are pretentious assholes – #1108 der nummerierten Erstausgabe!

    PPS: Die Rede selbst …

  • Bücher, schnell gelesen: 1.709

    Bücher, schnell gelesen: 1.709

    Edith Anderson – A Man’s Job (Die Andere Bibliothek, 2024)

    Gelesen: 26. – 29.05.2024 (netto 385 Seiten plus 13 Seiten Nachwort von Carolin Würfel)

    Aus dem Amerikanischen von Otto Wilck und Max Schroeder. Vollständig neu überarbeitet von Hans-Christian Oeser.

    Also die Lebensgeschichte von Edith Anderson ist schonmal eine ganze besondere: Eine jüdische Kommunistin verlässt 1947 die US of A um ihrem Mann, deutscher Kommunist der in New York im Exil war, nach Ost Berlin zu folgen.

    Nach Deutschland. Wo die Nazis Millionen Juden umgebracht haben. Aus dem reichen und funktionierenden Amerika in den zerstörten und ärmeren Teil Deutschlands. Letztendlich hinter den Eisernen Vorhang (aber das ahnte sie 1947 noch nicht).

    Ihr Mann wird Chef-Lektor beim Aufbau-Verlag, sie wird Teil der Kultur-Elite.

    Und kann ihren ersten (diesen) Roman veröffentlichen, im Original als Gelbes Licht 1956 erschienen.

    Es ist ein ziemlich lakonisches Buch über einen Moment, der sowohl in den US of A als auch in anderen Ländern klammheimlich das Gefüge zwischen Mann und Frau verschob.

    Der zweite Weltkrieg. Und Millionen von Männern an der Front. Und ihre Jobs – übernahmen zum Teil die Frauen. Edith Anderson hat es selbst erlebt, von 1943 bis 1947 war sie Schaffnerin bei der Pennsylvenia Railroad.

    Edith erzählt mit viel O-Tönen wie die Frauen Mauern einreißen können, die Männer (inkl. der Gewerkschaften) aber ihre Privilegien bis aufs Blut verteidigen. Teils lustig, teils todtraurig. Und böse.

    Und am Ende, als der Krieg aus ist, da kommen die Männer zurück.

    Aus heutiger Sicht ein Zeitsprung in eine echt elende Zeit, voller struktureller Ungerechtigkeiten. Und einer Arbeitswelt in den US of A, die per se ungerecht gegenüber den Arbeitnehmern ist.

    Mit 385 Seiten sicher zu viel, aber da Edit Anderson nie den erhobenen Zeigefinger in die Erzählung einbringt ist es gerade so zu ertragen. Als Zeitzeugniss ist es auf jedem Fall ein starkes Stück Emanzipation.

    Soundtrack dazu: Government Warning – Railroaded, was sonst?

    PS: Book Collectors are pretentious assholes – #0895 der nummerierten Erstausgabe!

    PPS: Und das bleibt…

  • Bücher, schnell gelesen: 1.687

    Bücher, schnell gelesen: 1.687

    Ernst Toller – Eine Jugend In Deutschland (Die Andere Bibliothek, 2024)

    Gelesen: 20. – 24.02.2024 (netto 293 Seiten)

    Im Original 1933 in Amsterdam erschienen, wo Ernst Toller schon seit 1932 im Exil lebte (und dann zügig über London in die US of A emigrierte).

    Die Biographie von Ernst Toller ist schon eine typische für die Zeit: Aus gutbürgerlich-jüdischer Familie in Posen, aufgezogen an einer preußischen Schule im besten preußischem Sinne: Autoritär, Militärisch und Nationalistisch. Obwohl der kleine Ernst sich dort schon für Literatur interessiert, die für die Schule zu modern war.

    Nach der Schule studiert er, in Grenoble (Frankreich), und genießt das Leben. Bis 1914 der Krieg ausbricht und er mit dem letzten Zug via der Schweiz nach Deutschland zurückgeht … um mit Begeisterung und fliegenden Fahnen als Kriegsfreiwilliger in das Königlich-Bayrische Fuß-Artillerie-Regiment in München einzutreten. Hurra!

    Nachdem er zunächst den Krieg begeistert unterstützt erlebt er 2016 einen totalen Zusammenbruch an der Front und wird im Januar 2017 als kriegsuntauglich entlassen, bleibt in München und studiert. Und wird immer mehr zum Kriegsgegner, gründet u.a. den sozialistischen Kulturpolitischen Bund der Jugend.

    Und wird Aktivist: Unterstützt streikende Arbeiter und ist ganz vorne bei der bayrischen Novemberrevolution und der Münchener Räterepublik dabei.

    Als das erzählt Toller trocken, lakonisch und mit einem neutralen Blick, ohne die eigenen Ideale zu verleugnen. Und er erzählt auch vom scheitern der Utopie, von der Gegenrevolution und von seinem persönlichen Scheitern (das am Ende in Festungshaft endet).

    10.000 Mark waren ganz schön viel Geld damals!

    Und er erzählt das mit einem klaren Blick auf die Puzzelteile, die letztendlich im obrigkeitshörigen Deutschland einer echten Revolution im Wege stehen…

    … in München:

    ( (c) Aufbau Verlag, 2024)

    … und in Hamburg sowieso:

    ( (c) Aufbau Verlag 2024)

    Ein spannender Einblick in die Geschichte Deutschland, in die Geschichte die danach die Nazis möglich gemacht hat. Toller selbst floh und erhob seine Stimme aus dem Ausland – am Ende führten seine Dämonen aber dazu das er keine Zukunft mehr sah. Selbstmord 1939.

    Ich mag solche O-Töne aus der Vergangenheit, sowas darf nicht in Vergessenheit geraten.

    Soundtrack dazu: EA 80 – Die Gescheiterte Revolution, was sonst?

    PS: Book Collectors are pretentious assholes – #1916 der nummerierten Erstausgabe!