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  • Bücher, schnell gelesen: Teil 1.486

    Bücher, schnell gelesen: Teil 1.486

    Sam Hawken – Vermisst (Polar Verlag, 2020)

    Gelesen: 04. – 08.11.2020, netto 381 Seiten

    Es geht um grenzenlose Ausbeutung. Nicht mehr und nicht weniger.

    In Kojoten begleiten wir eine Migrantin vom Süden in den Norden, da wo illegale Migranten nicht nur das Rückgrat der Agrarwirtschaft sind sondern schlicht und einfach zum wirtschaftlichen System gehören, inklusive Rückschaffung.

    Und wer fies genug denken kann, der versteht das diese Rückschaffung in erster Linie dazu dient die Preise im Norden niedrig zu halten. Das Risiko auf die Migranten zu verlagern.

    Vorhang auf für Jack Searle, der als kleiner Bauunternehmer und Witwer versucht seine Töchter an der Grenze zu Mexiko durchzubringen. Der für seine Jobs immer mexikanische Tagelöhner nimmt, ihnen aber guten Lohn zahlt und sie ordentlich behandelt. Was seinem Tagelöhner passiert (Verhaftung, Strafe Ausweisung) passiert ihm nicht (er bekommt einen erhobenen Zeigefinger), obwohl der Illegale in seinem Truck hochgenommen wurde.

    Systemrelevant? Systemrelevant!

    Das Schicksal ereilt Jack südlich der Grenze, in Nuevo Laredo verschwindet seine Tochter als diese mit einer Verwandten auf ein Konzert geht. Und Jack vertraut sich der Polizei an, die in Nuevo Laredo nicht nur einen schlechten Ruf hat sondern von der Militärpolizei wg. Unfähigkeit und Korruption ersetzt wird (ist in 2011 tatsächlich so passiert – drei Jahre später, als Sam Hawken seinen Roman beendete, war die Polizei immer noch suspendiert und die Stadt ein „kriminelles Irrenhaus“).

    Für Jack und den nunmehr suspendierten Polizisten Gonzalo beginnt damit der Abstieg in die Finsternis. Stur hält Jack Kurs und will seine Tochter finden. Was er jedoch findet ist Elend, Korruption, Gewalt und … Tod.

    Und wieder passt das Bild: Das Risiko liegt bei denen aus dem Süden – nicht nur Gonzales stirbt, sondern auch Verwandte von Jack. Die aus dem Norden, die schaffen es geradeso über die Grenze zurück und kommen, trotz zweier bestialischer Morde an Bestien, ohne Anklage davon.

    Systemrelevant?

    Sam Hawken schreibt das ganze langsam, behäbig und sehr lakonisch. Das es schlussendlich in einer Gewaltorgie ala “Ein Man Sieht Rot” endet passt trotz aller Widersprüche zum Buch. Es ist eben keine Rambo-Buch – es ist eine ehr lakonische Erklärung warum die US of A als Konsument all diesen Elends nicht zur Rechenschaft gezogen wird.

    Eben weil es systemrelevant ist.

    Und was? Die Ausbeutung. Im Norden. Im Süden. Mit oder ohne Grenze. Oder Mauer.

    Klasse Buch!

    Soundtrack dazu: Mexican Cheerleader – Run And Tell Your Friends, was sonst?

    nb: Realities…

  • Bücher, schnell gelesen: Teil 1.472

    Bücher, schnell gelesen: Teil 1.472

    William Gay – Stoneburner (Polar Verlag, 2020)

    Gelesen: 02. – 03.09.2020, netto 370 Seiten

    Von William Gay (2012 verstorben) habe ich vor 8 Jahren schon eine schöne Geschichte gelesen. Stoneburner spielt im gleichen geographischem Kosmos – dem Land der Hinterwäldler.

    Das Buch ist nach dem Tod von Gay von seinen Erben aus dem Nachlass gesichert und druckfertig gemacht worden. Diese Arbeit hat sich definitiv gelohnt.

    Und das Buch selbst hat noch mehr Geschichte: William Gay hatte sich mit Cormac McCarthy angefreundet, der seine Bücher in einem ähnlichen Setting spielen lässt. Das Buch selbst war fertig als McCarthy mit No Country For Old Men herauskam und darin ähnliche Versatzstücke verpackte: Drogenhandel, ein Koffer voll Geld auf Abwegen und die Jagd danach. Und eben wegen dieser Überschneidungen legte Gay das Manuskript erstmal auf die Seite.

    Das Buch ist ein klasse 70er hard-boiled Roman, voller verrückter Männer und hübscher Frauen. Die Männer wollen Geld, Alkohol und Frauen. Die Frauen wollen Männer mit Geld. Und deren Geld. Der Privatermittler Stoneburner möchte eigentlich nichts davon, sondern am Ufer des Tennessee River seine Ruhe haben.

    Aber dann kommt sein alter Vietnam-Kamerad Thibodeaux und klaut dem lokalen Schwergewicht nicht nur das Mädchen sondern auch Geld. Und geht auf einen Trip an dessen Ende er natürlich der Verlierer ist. Stoneburner soll das Geld wiederbeschaffen aber das gelingt ihm nicht. Ihm gelingt lediglich am Leben zu bleiben, was nicht jedem im Buch vergönnt ist.

    Das Buch ist klar gegliedert, im ersten Teil erleben wir Thinodeaux, im zweiten Stoneburner. Also eine Geschichte mit zwei Sichten. Und dazwischen gibt es sehr viel Moral, allerdings die Moral der Menschen da hinten in Tennessee, Mississippi, Alabama und Texas. Und die ist und war anders.

    Ein ganz wunderbar dunkles Buch voller Hoffnungen, die sich nicht erfüllen.

    Soundtrack dazu: Swingin’ Utters – More Or Less Moral, was sonst?

  • Bücher, schnell gelesen: Teil 1.467

    Bücher, schnell gelesen: Teil 1.467

    James Anderson – Lullaby Road (Polar Verlag, 2020)

    Gelesen: 15. – 19.08.2020, netto 357 Seiten

    Nach Desert Moon das zweite Buch von James Anderson im Polar Verlag … mit noch mehr Desert Noir und mit noch mehr … Gewalt.

    Der Inhalt ist neu aber die Geschichte im Prinzip nicht: Entlang der State Road 117 in Utah leben Menschen, die sich zurückgezogen haben. Die keinen Bock mehr auf die Welt haben. Und die auf Trucker Ben angewiesen sind, um die Dinge des Lebens vor die Haustür geliefert zu bekommen.

    Aber das Leben bleibt gemein, die Welt ist böse. Und die Wüste ist einfach rücksichtslos und verzeiht nichts. Dein bisheriges Leben nicht. Und Fehler schon gar nicht. Aber Ben macht keine Fehler: Trotz Schnee, trotz Eis – trotz Waffen die auf ihn gerichtet werden … er macht das was eigentlich der US Postal Service machen sollte (aber nicht mehr macht), was UPS und Federal Express machen sollten (aber nicht mehr als lohnenswert erachten): Er bringt Dinge von A nach B.

    Das ganze ist zwar schon eine Crime Story mit ein wenig Who-dun-it aber im Grunde ist es eine ganz wunderbare Geschichte über eine wunderbare Landschaft mit wunderlichen Menschen. Sagte ich schon wunderbare Landschaft?

    James Anderson schaft mit dieser Landschaft eine ganz eigene Geschichte aufzuziehen, weder der verrückte Priester (der wegen seiner Sünden ein Kreuz durch die Wüste schleppt) noch der verstümmelte Arzt (der seine Schmerzen wegtrinkt) sind Fremdkörper – sie passen genauso wie das Böse (das diesmal Jagd auf Kinder macht) in die Landschaft.

    Am Ende überlebt Ben nur knapp, hat aber seine Nachbarin und ihr Kind wieder. Und das der State Trooper überlebt hat (wenn auch ohne Ohr), das macht Lust und Laune auf den nächsten Band.

    Ganz wunderbar, ganz erdig. Und ganz menschlich in großartiger Natur. Und ja, das Böse ist auch da.

    Soundtrack dazu: Meat Puppets – Lost, was sonst?

    Sing-a-along:

    Lost on the freeway again
    Lookin’ for means to an end
    Nobody knows which way it’s gonna bend
    Lost on the freeway again

    Walkin’ the breezeways again
    Lookin’ for something my friend
    I’ve grown tired of living Nixon’s mess
    Walkin’ the breezeways again

    I know there’ll come a day
    When you say that you don’t know me
    I know there’ll come a time
    When there’s nothing anybody owes me anymore

    Locked in the attic again
    Out of the shallow and into the deep end
    I’ve got a wound I know will never mend
    Locked in the attic again

    I know there’ll come a day
    When you say that you don’t know me
    I know there’ll come a time
    When there’s nothing anybody owes me anymore

    PS: Oft mecker ich über das deutsche Cover – hier ist es um Längen besser: Passt perfekt in die Polar Serie und passt atmosphärisch wie Sandkorn in die Wüste.

    James Anderson – Lullaby Road (Crow, 2018)