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  • Bücher, schnell gelesen: 1.762

    Bücher, schnell gelesen: 1.762

    David L. Ulin – Die Frau, Die Schrie (Polar Verlag, 2025)

    Gelesen: 20. – 24.03.2025 (netto 210 Seiten plus ein kundiges Nachwort von Chris Thornton Harding)

    Aus dem Amerikanischen von Kathrin Bielfeldt.

    Zufall? Bestimmung? Da hab ich gerade ein etwas anderes aber großartiges Buch von Ivy Pochoda gelesen, dann kommt dieses Buch aus L.A. und auf dem Klappentext steht:

    Eine Meisterklasse des Noir, die das Genre sowohl ehrt als auch aufwertet: Thirteen Question Method (Die Frau, Die Schrie) ist eine Kategorie für sich.” (Ivy Pochoda)

    Das sind mal Vorschußlorbeeren.

    Und was sagt der Autor?

    I wanted to write a novel that operated without pity or forgiveness. I wanted to write a novel that left its characters and its readers no way out. I wanted to write a novel that used the parameters of noir to reflect on the isolation of living.

    That novel, 30-some years later, would become “Thirteen Question Method,” an existential thriller, set in Hollywood, in the vein of noirists such as David Goodis or Charles Willeford — written to be short, sharp, shocking; trafficking in neither hope nor redemption; as bleak and pointed as a stiletto’s blade.

    In an aspirational city, what happens when you don’t get what you want? What happens when you make bad choices, when you allow the chaos to take hold?

    These are the questions at the heart of noir, of every literature of alienation. I wanted to write about a character whose desire was to disappear.

    David L. Ulin in der L.A. Times 2023

    Keine Hoffnung. Keine Erlösung. Genau mein Ding!

    Das macht dann mal mehr als Hoffnung auf eine Lesevergnügen. Und, ja, ich wurde nicht enttäuscht.

    Und die Story ist so gut, so fesselnd das ich nicht spoilern möchte. Das Buch musst du dir selbst gönnen!

    Und natürlich sind die Fragen von Chuck Berry die Kapitelüberschriften…

    The ‘thirteen question method’ is the one to use
    The ‘thirteen question method’ is the one to use
    The ‘thirteen question method’ is the one
    To use when you want to go have some fun
    The ‘thirteen question method’ is the one to use

    Question number one: let’s have some fun
    Question number two is: what to do ?
    Question number three is: will you dine and dance with me?
    Question number four: out the door?

    Question number five: I want you to know jive
    Question number six: how long to get fixed ?
    Question number seven: should I pick you up at a quarter to eleven?
    Question number eight: is it a date ?

    Question number nine is: where to dine ?
    Question number ten: can we get in?
    Question number eleven: it’ll be just like heaven
    Question number twelve when we’re by ourselves

    The ‘thirteen question method’ is the one to use
    The ‘thirteen question method’ is the one to use
    The ‘thirteen question method’ is the one
    To use when you want to go have some fun
    The ‘thirteen question method’ is the one to use

    Thirteen Question Method lyrics © BMG Rights Management, Music Services, Inc

    Ganz ehrlich: Eine echte Perle. Ein echtes Einzelstück. Eine großartige Story, genial verpackt.

    Definitiv ein Kandidat für “Buch des Jahres”.

    Soundtrack dazu: The Bellrays – Power To Burn, was sonst?

    PS: Das Cover – wie gut ist denn Bitte das Original und wie unpassend das Polar Cover mit seinem L.A.-Surfer-Beach-Bus Stockfoto (obwohl es natürlich so besser in die Polar Serie passt).

    Wenn ich dürfte…dann nur das Original, bitte.

    David L. Ulin – Thirteen Question Method (Outpost 19, 2023)

    PPS: Und David L. Ulin so?

    PPPS: Der titelgebende Song von Chuck Berry geht so…

  • Bücher, schnell gelesen: 1.761

    Bücher, schnell gelesen: 1.761

    Ivy Pochoda – Sing Mir Vom Tod (Suhrkamp, 2025)

    Gelesen: 14. – 19.03.2025 (netto 318 Seiten)

    Aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Lux.

    Bang! Mal wieder liefert Ivy Pochoda. Und wie!

    Die Bücher von ihr sind immer anders, immer weiblich und immer … etwas wirklich besonderes.

    Sing Her Down (so das amerikanische Original) spiegelt dabei komplett das Genre: Männer sind entweder Zuschauer, Opfer oder Werkzeug. Frauen dagegen sind Schuldig, im Knast, Verbrecher oder sowohl Opfer als auch Täter. Warum?

    Weil sie es können.

    Im ersten Teil des Buches geht um Gewalt in Gefängnissen und da sind Frauen aber so richtig Täter und Opfer, sowohl von weiblichen Mithäftingen als auch von Wärtern.

    Auf der einen Seite Florence „Florida“ Baum, Jung & Blond & aus reichem Elternhaus, die behauptet, man habe ihr Beihilfe zum Mord an einem Drogendealer angehängt, weil sie das Fluchtauto fuhr. Dabei liebte sie es einfach mit ihrem 1968er Jaguar zu cruisen.

    Gegenstück ist Diana Diosmary “Dios” Sandoval, eine kluge und schöne Latina, die wegen schwerer Körperverletzung an einem Mitschüler verurteilt wurde, nachdem die wohlhabende Mutter des Opfers die Staatsanwaltschaft angestachelt hatte. Sie kommt aus armen Verhältnissen und wurde nur durch eine Stipendium in die Welt der Reichen gespült.

    Bei umkreisen sich im Gefängniss, Dios versucht dabei immer wieder das Böse, die Gewalt, in Florida hervorbrechen zu lassen. Sie umkreisen sich wie Katze und Maus, wobei die Maus durchaus gefährlich ist.

    Das Buch spielt 2020 und Covid hat die US of A im Griff, auch in den Gefängnissen. Daher werden Gefangene vorzeitig Entlassen – auch Florida. Und Dios.

    Florida will nur zurück nach L.A. und ihren Jaguar fahren, Dios will immer noch Florida provozieren. Und so zieht sich eine Spur der Gewalt Richtung L.A. …

    … wo ein weiblicher LAPD Detektiv ohne Vornamen (aber mit Nachnamen Lobos) ihre Spur aufnimmt. Lobos hat ihre ganz eigenen Probleme, ihr Arbeitsleben wird durch häusliche Gewalt konterkariert.

    Ihr Ex-Mann, der an einer psychischen Erkrankung leidet, die durch die Covoid-bedingte Isolation in die Huldigung an jedwede Verschörungstheorie ausgefranst ist, befindet sich irgendwo auf der Straße. Lobos widmet sich abwechselnd der Suche nach den Flüchtigen und versucht, ihn unter der heimatlosen Bevölkerung von Skid Row zu finden.

    Lobos betrachtet diese eher persönliche Suche nach Abschluss und Sicherheit nicht als Ablenkung, sondern als Voraussetzung für ihren Job: „Wie kann sie auf der Straße für Ruhe sorgen, wenn sie es zu Hause nicht konnte?

    Aber Lobos ist auch die einzige, die Florida und Dios “lesen” kann und erkennt dass es bei ihrer Festnahme nicht nur darum geht, zu verstehen was sie zu ihren Taten angestiftet hat.

    Sondern auch darum ihre Taten nicht zu verharmlosen, indem man sie mit niedlichen Namen wie „Weibliche Helden“, „Femme Fatales“, „Thelma & Louise“ betitelt. Denn dabei geht es nur darum um ihre Taten zu verspotten oder zu verharmlosen, damit Männer begreifen, dass Frauen töten können.

    Doch was ist mit Lobos eigener Wut? Was wird sie mit ihrer unterdrückten Wut auf ihren Mann anfangen?

    Natürlich läuft alles auf einen Showdown zu, natürlich stehen am Ende Lobos, Dios und Florida an der Kreuzung Olypmpic & Western und es knallt.

    Perfekt!

    Ebenso perfekt ist, das die Story von Ivy Pochoda um eine Erzählerin ergänzt wird. Die Zellengenossin von Florida, Kace, erzählt uns die ganze Geschichte auf eine extrem passende Art. Und da sie Stimmen in ihrem Kopf hört, ist das eine vielstimmige Geschichte … fast ein Märchen. Oder eine griechische Tragödie.

    Oder eben das ganz normale Leben.

    Wow.

    Soundtrack dazu: Mala Vista – Western Beef, was sonst?

    PS: Danke – endlich mal wieder kein neu-erfundenes Cover!

    Ivy Pochoda – Sing Her Down (Farrar, Straus and Giroux, 2023)

    PPS: Und Ivy so?

  • Bücher, schnell gelesen: 1.760

    Bücher, schnell gelesen: 1.760

    Giles Blunt – Kanadische Nächte (Kampa, 2025)

    Gelesen: 11. – 13.03.2025 (netto 407 Seiten)

    Aus dem kanadischen Englisch von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann.

    Im letzten Fall von John Cardinal haben die psychischen Probleme seiner Frau eine Rolle gespielt, vom eigentlichen Fall wurde John aber nicht abgebracht.

    In Kanadische Nächte (im Original so viel besser “By The Time You Read This“) spielen sie allerdings die erste Hauptrolle: Johns geliebte Catherine ist Tod. Selbstmord. Abschiedsbrief.

    Und John der erste Detective bei der Leiche.

    Eine ziemlich grauenvolle Vorstellung und ein ziemlich gewagter aber auch starker Einstieg in dieses Buch.

    John trauert, John zweifelt … und zweifelt am Selbstmord. Trotz eines Abschiedsbriefes. Und obwohl vom Dienst freigestellt, geht er seinem Bauchgefühl nach. Und gräbt. Und findet … nix. Aber Indizien. Und noch mehr Fragen.

    Seine Partnerin Lise bekommt ohne ihn auch einen ziemlichen Brocken aufgehalst: Bei einer Kinderporno Ermittlung in Toronto stoßen die Kollegen bei einem missbrauchten Kind auf eine Spur nach Algonquin Bay. Aber sie haben nur Fotos. Vom Opfer, nicht vom Täter. Von winzigen Landschaftsfragmenten.

    Und so geht Lise auf die Suche. Geht ihrem Bauchgefühl nach. Und gräbt. Und findet … nix.

    Der erfahrene Leser ahnt natürlich das sich die beiden Fälle kreuzen. Und wird wieder und wieder von Giles Blunt enttäuscht. Er zögert diesen Moment so lange raus, das kaum noch Seiten zum Lesen da sind. Und dann auch noch anders als der Leser denkt.

    Extrem cool gemacht, es wird sehr viel Spannung aufgebaut – auch wenn diese Spannung einzig und allein auf Leid beruht. Und davon gibt es in diesem Buch extrem viel!

    Und dieses Leid treibt sowohl John als auch Lise an, sie jagen quasi jeweils ein Raubtier, das so teuflisch ist, dass die Grenzen der Strafjustiz lässlich werden.

    Das mit Abstand stärkste Buch der Reihe bisher, extrem spannend, extrem fesselnd.

    Wow – jetzt bitte nachlegen!

    Soundtrack dazu: Propaghandi – Cognitive Suicide, was sonst?

    PS: Autumn in Algonquin Bay …