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  • Bücher, schnell gelesen: 1.730

    Bücher, schnell gelesen: 1.730

    Ross Thomas – Die Narren Sind An Unser Seite (Alexander Verlag, 2024)

    Gelesen: 12. – 20.09.2024 (netto 573 Seiten)

    Aus dem Amerikanischen von Gisbert und Julian Haefs.

    Mit jedem Buch in der Ross Thomas Reihe setzt der Alexander Verlag noch einen drauf. Klasse!

    Zuerst 1972 in Deutschland als “Unsere Stadt muss sauber werden” arg gekürzt auf 144 Seiten in der Ullstein Taschenbuch Reihe erschienen, ist diese Ausgabe nicht nur vollständig sondern auch vollständig neu übersetzt.

    Und das Panoptikum das uns Ross Thomas hier vorsetzt ist so lustig wie auch aktuell:

    Gentrifizierung, Verödung der Innenstädte, Rassismus und Bestechlichkeit haben ein „Klima der Apathie“ erzeugt – ideale Voraussetzungen, um Menschen und Wahlkämpfe zu korrumpieren.

    Klingelt da was?

    Dazu abkassierende lokale Politiker und Würdenträger, auf allen Seiten. Die Cops arbeiten mit dem organisierten Verbrechen zusammen, um sich zu bereichern.

    Keine Seite ist besser als die andere.

    Auftritt Lucifer Dye, ex-Geheimdienstler und gerade mehr oder weniger Ehrenhaft aus Hong Kong freigekauft und … in die US of A freigelassen. Von einem windigen Politikmacher (mit dem coolen Namen Victor Orcutt) angeheuert um in Swankerton (Texas) – irgendwo zwischen Mobile, Alabama und Galveston – den anstehenden örtlichen Wahlkampf zu beeinflussen.

    Den andere wollen an die Futtertröge.

    Und da wird es spannend: Wer hat es erfunden? Das Original in den US of A kam 1970 raus, im gleichen Jahr in dem René Goscinny Tullius Destructivus auf die tapferen Gallier loslässt.

    Und nichts anderes machen Lucififer Dye und Victor Orcutt in Swankerton: Zwietracht sähen und die bestehenden Mächte in Swankerton gegeneinander ausspielen. Und das mit ordentlich Humor und Gewalt.

    Anders als in den anderen Ross Thomas Büchern gibt es hier aber noch einen breiten Hintergrund zu Lucifer Dye: Mit ihm hat sich der Geheimdienst ein Waisenkind geschnappt, das die japanische Bombenangriffe auf Shanghai 1937 wie auch den Vormarsch der Japaner in Asien vor Ort miterlebt hat.

    Und seitdem komplett amoralisch.

    Ein perfekt orchestrierter vielschichtiger und hochinteressanter Politthriller. Und verdammt nochmal aktuell wie nichts!

    Soundtrack dazu: The Briggs – Ship Of Fools, was sonst?

  • Bücher, schnell gelesen: 1.729

    Bücher, schnell gelesen: 1.729

    Don Winslow – City In Ruins (HarperCollins, 2024)

    Gelesen: 07. – 11.09.2024 (netto 433 Seiten)

    Aus dem Englischen von der wunderbaren Conny Lösch (ein Qualitätsmerkmal). 

    Das 24te Buch von Don Winslow das ich hier verewige und das letzte Buch das Don – nach seiner Aussage – geschrieben hat.

    Und das staubige Ende der Danny Ryan Trilogie (denn Don Winslow führt Danny nicht durch sondern in die Wüste).

    Es begann in Rhode Island, als der junge Danny mit ansehen musste, wie der Mob-Krieg zwischen den irischen und italienischen Familien eskalierte (City on Fire).

    Nach seiner Flucht aus Rhode Island nach Kalifornien gerät Danny zunächst in Kontakt mit einer zwielichtigen Gestalt aus den Geheimdiensten der US of A und landet dann in Hollywood (City Of Dreams).

    Jetzt hat er in der Glücksspielbranche in Las Vegas Fuß gefasst und sein Glück gefunden. Eine Branche mit traditionellen Mafiaverbindungen, die aber inzwischen tief im Hintergrund sind. Eine Branche, die mit aller Kraft versucht, ihre schmutzigen Verbindungen zur organisierten Kriminalität zu lösen – ein Damoklesschwert, das Danny während seines gesamten Aufstiegs in der Branche belastet.

    Ganz zu schweigen von den schmutzigen kleinen Geheimnissen der meisten Vermögen, die auf dem Strip gemacht wurden. Wo kam eigentlich das Geld von Danny her?

    Don Winslow erzählt drei parallele Geschichten: Dannys in Vegas, Chris Palumbos versteckt im Mittleren Westen und dann zurück in Rhode Island sowie die eines Mafia-Mordprozesses in Rhode Island. Die drei Handlungsstränge sind miteinander verbunden, aber Don Winslow bringt sie nicht wirklich zusammen – wer die anderen Bücher nicht im Kopf hat, dem fehlt hier was.

    Das Buch hat Tempo, das Buch hat ausreichend Brutalität und das Buch ist sogar realistischer als der Vorgänger – das Ende aber ist, na, “almost lackluster“. Schade, hätte mir eine Überraschung, ein Big-Bang – ein Killer Moment gewünscht. Aber – es ist ein allzu menschliches Ende, wenigstens.

    So bleibt eine Trilogie, die sicher nicht zum Besten von Don Winslow gehört. Eine Trilogie, die James Ellroy in ein Buch verpackt hätte.

    Dennoch: Danke für viel Lesevergnügen Don!

    Soundtrack dazu: Proton Packs – Ruins Of The Galaxy, was sonst?

    PS: Und Don Winslow so …

  • Bücher, schnell gelesen: 1.728

    Bücher, schnell gelesen: 1.728

    Shashi Tharoor – Die Zeit Der Finsternis (Aufbau Verlag, 2024)

    Gelesen:04. – 06.09.2024 (netto 403 Seiten plus 23 Seiten Nachwort von Mithu Sanyal)

    Aus dem Englischen übersetzt von Cornelius Reiber.

    Der englische Originaltitel geht ein wenig flotter zur Sache:

    Inglorious Empire: What the British did to India.

    Die Geschichte, wie das Britische Empire respektive die East India Company einen ganzen Subkontinent beherrschte, hatte mich irgendwie schon immer interessiert.

    Diese Buch gibt die Chance, die handelsüblichen Schlagwörter (“Die Briten haben das Land geeint”, “Die Briten haben die Industrialisierung gebracht”, “Die Briten haben Demokratie und Recht geschaffen”, “Die Briten haben Cricket eingeführt” etc etc) einmal pointiert aus Indischer Sicht kommentiert zu bekommen.

    Und da lernt der Leser dann schnell, anhand von Fakten, das einiges anderes war.

    ( (c) Aufbau Verlag 2024)

    Mitnichten hatte die East India Company und die britische Aristokratie eine andere Idee als Reichtum aus Indien nach England umzuverteilen. Auf dem Rücken der Inder.

    Mithu Sanyal kommentiert das in ihrem Nachwort auf den Punkt:

    Und dann recherchierte mein Mann 2015 im Internet, ob seine Familie auch Menschen versklavt hatte. Mein Mann ist Engländer, und die Briten haben ein Online-Register, in dem man das nachschauen kann. Ich sagte irgendetwas wie: »WTF?« 
    
    Und er erklärte mir, dass diese Listen entstanden waren, weil Großbritannien nach dem Verbot der Versklavung 1835 Wiedergutmachungen gezahlt hatte. Ich war beeindruckt, bis ich erfuhr, dass diese Gelder nicht an die Menschen, die versklavt worden waren, gegangen sind, sondern an die »Sklavenhalter«, die ja nun »Eigentum« verloren hatten. 
    
    Insgesamt 200 Millionen Pfund – oder nach heutigem Wert: 17 Milliarden Pfund; so viel Geld, dass Großbritannien dafür einen Kredit aufnehmen musste, den es 180 Jahre lang abbezahlte. Als Großbritannien 2015 endlich damit fertig war, tweetete UK Treasury stolz: »Millionen von Ihnen haben mit ihren Steuern zur Beendigung des Sklavenhandels beigetragen.« 
    
    Nein! Die britischen Steuerzahler:innen hatten Menschen alimentiert, die aus der Ausbeutung anderer Menschen Profit geschlagen hatten. Und die »Befreiten« mussten nach 1835 noch weitere sechs Jahre für ihre ehemaligen »Besitzer« arbeiten: 45 Stunden die Woche, ohne Bezahlung! 
    
    Dieses fehlende Wissen darüber, wie Kolonialismus unsere Sicht auf die Welt und vor allem auf die ehemals Kolonialisierten prägt, führt dazu, dass wir koloniale Narrative mit ermüdender Regelmäßigkeit reproduzieren.
    
    (c) Aufbau Verlag 2024
    

    Noch und nochmal ließen die Briten die Inder alles, aber auch alles, bezahlen. So oder so.

    Kolonialgeschichte, immer wieder Wert der Kolonialmacht rückblickend eine zu ballern!

    Das Buch selbst ist aus einem Redebeitrag von Shashi Tharoor anlässlich einer Debatte an der Oxford University entstanden. Es ist manchmal trocken, manchmal arg Wissenschaftlich aber am Ende … ein entschlossener Standpunkt.

    Passt, wenn auch – aus meiner Sicht – zu wenig historischer O-Ton.

    Soundtrack dazu: TMA – Dying The Empire Way, was sonst?

    PS: Book Collectors are pretentious assholes – #1108 der nummerierten Erstausgabe!

    PPS: Die Rede selbst …