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  • Bücher, schnell gelesen: 1.688

    Bücher, schnell gelesen: 1.688

    David Gray – Instinct (Piper, 2024)

    Gelesen: 25. – 28.02.2024 (netto 279 Seiten plus 11 Seiten Nachwort des Autors)

    David Gray hat seit seinen beiden Hamburg Krimis im Pendragon Verlag einen ziemlich großen Stein in meinem Lesebrett. Instinct ist aber kein Krimi sondern ehr ein … ja, was eigentlich?

    In jedem Fall ist es eine ziemlich realistische Vision einer Zukunft, in der Europa den Klimawandel ziemlich drastisch korrigiert. Und das verpackt in einen gar nicht so dystopischen Öko-Thriller.

    Fridays for Future hat geklappt, die Menschen wohnen “zentral” in modernen, automatisierten und mit weitestgehend künstlich hergestelltem Essen versorgten Städten – alles dazwischen (und das ist 90% des Landes) ist Wildnis. Extrem geschützte Naturreservate. Wo die Natur wirkt, ohne Eingriff, und damit in kleinen Stücken den Klimawandel dreht. Während die Menschen schräge Dinge wie Autoerotik und anderes machen.

    Der Mensch beobachtet und schützt diese Reservate, eine EU weite Organisation von Wildhütern übernimmt das. Diese wachen schichtweise in Beobachtungstürmen in der Natur und versuchen den Geheimnissen der Natur (was passiert wie warum) auf die Spur zu kommen. Und Wilderer fernzuhalten.

    Elena ist so eine Wildhüterin, Chefin über das Team eines Turms. Und irgendwie auf der Suche nach ihrem alten Chef – der da draußen in der Wildnis einfach verschwunden ist.

    Das Buch nimmt sich viel Zeit das Zukunftsszenario aufzuziehen und dem Leser eine Chance zu geben zu verstehen, wie das ganze funktioniert. Aber sobald die Drohne das Team in der Wildnis absetzt nimmt das ganze Fahrt auf. Spannungen im Team, komische Daten aus der Natur, verlorene Drohnen…

    … und das ganze geht Downhill. Mit immer mehr Tempo. Und zu dem beinahe dystopischen Szenario (aber nur beinahe) kommt dann noch eine Prise übersteigerter Feminismus, eine ordentliche Portion Nazi-Scheiße (leider ohne Reichsflugscheibe) und ein mörderischer Gegner (der so nicht erwartet wurde).

    Zum Glück wird das Downhill von Leichen begleitet – Elena steht am Ende dem Feind, der für sie Natur ist, alleine gegenüber. Und stirbt nicht.

    Was für mich ein perfektes Ende gewesen wäre. No Future In Motherfuckin’ Nature.

    David Gray aber ist böse, denn er hat ein anderes Ende versteckt. Eins in dem paradoxerweise das Frau-sein vor dem Tod rettet. Obwohl Gevatter Tod eine feministische Hand reicht.

    Das Ende des Buches kommt hart und hinterlässt irgendwie eine komisches Gefühl. Zum einen Weil die “Auflösung” ein wenig schräg ist, zum anderen weil da noch was ungesagt respektive unerzählt bleibt.

    Cliffhänger?

    Mein Kopfkino hat gezündet, am Ende aber waren Leinwand und Buch aber ein wenig auseinander. In meinem Kopfkino lief gegen Ende Doom, Wolfenstein und Gore. Das aber gibt das Buch dann doch nicht her.

    Aber als realistische Zukunftsidee? Chapeau!

    Soundtrack dazu: The Terrorsurfs – Ape Cape, was sonst?

    PS: Und der Autor – eigentlich Ulf Torrek – ist ein kluger Kopf. Und kann sich als gehkacken gelobt bezeichnen.

  • Bücher, schnell gelesen: 1.687

    Bücher, schnell gelesen: 1.687

    Ernst Toller – Eine Jugend In Deutschland (Die Andere Bibliothek, 2024)

    Gelesen: 20. – 24.02.2024 (netto 293 Seiten)

    Im Original 1933 in Amsterdam erschienen, wo Ernst Toller schon seit 1932 im Exil lebte (und dann zügig über London in die US of A emigrierte).

    Die Biographie von Ernst Toller ist schon eine typische für die Zeit: Aus gutbürgerlich-jüdischer Familie in Posen, aufgezogen an einer preußischen Schule im besten preußischem Sinne: Autoritär, Militärisch und Nationalistisch. Obwohl der kleine Ernst sich dort schon für Literatur interessiert, die für die Schule zu modern war.

    Nach der Schule studiert er, in Grenoble (Frankreich), und genießt das Leben. Bis 1914 der Krieg ausbricht und er mit dem letzten Zug via der Schweiz nach Deutschland zurückgeht … um mit Begeisterung und fliegenden Fahnen als Kriegsfreiwilliger in das Königlich-Bayrische Fuß-Artillerie-Regiment in München einzutreten. Hurra!

    Nachdem er zunächst den Krieg begeistert unterstützt erlebt er 2016 einen totalen Zusammenbruch an der Front und wird im Januar 2017 als kriegsuntauglich entlassen, bleibt in München und studiert. Und wird immer mehr zum Kriegsgegner, gründet u.a. den sozialistischen Kulturpolitischen Bund der Jugend.

    Und wird Aktivist: Unterstützt streikende Arbeiter und ist ganz vorne bei der bayrischen Novemberrevolution und der Münchener Räterepublik dabei.

    Als das erzählt Toller trocken, lakonisch und mit einem neutralen Blick, ohne die eigenen Ideale zu verleugnen. Und er erzählt auch vom scheitern der Utopie, von der Gegenrevolution und von seinem persönlichen Scheitern (das am Ende in Festungshaft endet).

    10.000 Mark waren ganz schön viel Geld damals!

    Und er erzählt das mit einem klaren Blick auf die Puzzelteile, die letztendlich im obrigkeitshörigen Deutschland einer echten Revolution im Wege stehen…

    … in München:

    ( (c) Aufbau Verlag, 2024)

    … und in Hamburg sowieso:

    ( (c) Aufbau Verlag 2024)

    Ein spannender Einblick in die Geschichte Deutschland, in die Geschichte die danach die Nazis möglich gemacht hat. Toller selbst floh und erhob seine Stimme aus dem Ausland – am Ende führten seine Dämonen aber dazu das er keine Zukunft mehr sah. Selbstmord 1939.

    Ich mag solche O-Töne aus der Vergangenheit, sowas darf nicht in Vergessenheit geraten.

    Soundtrack dazu: EA 80 – Die Gescheiterte Revolution, was sonst?

    PS: Book Collectors are pretentious assholes – #1916 der nummerierten Erstausgabe!

  • Bücher, schnell gelesen: 1.686

    Bücher, schnell gelesen: 1.686

    Samuel W. Gailey – Die Schuld (Polar Verlag, 2024)

    Gelesen: 13. – 19.02.2024 (netto 293 Seiten)

    Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf.

    Es ist erst Februar und schon ein erster Kandidat für “Best Read 2024“…

    Ein perfektes Jugendbuch. Schade das es wohl nie auf dem Stundenplan für 15-16 Jährige steht. Dabei gibt es doch so viel über Schuld, Schuldgefühle, Flucht und Freiheit (die harte Arbeit ist) zu lernen.

    Hallo Alice!

    Schuldgefühle können tödlich sein und bringen die 15-jährige Alice O’Farrell fast um, nachdem ihr kleiner Bruder versehentlich in ihrer Obhut gestorben ist. Sie sollte doch “nur” auf den Rabauken aufpassen.

    Trauer und Verzweiflung bilden eine giftige Mischung, die sich in ihrer Welt und zwischen ihr und ihrer Mutter ausbreitet. Woraufhin sie ziellos flüchtet. Wegrennt..

    Da Selbstzweifel und Selbstvorwürfe sie quälen, betäubt sie sich mit Alkohol. Jeden Tag wegballern. Alle paar Monate Wohnort (ein Auto oder ein abgewarztes Motel) und Job (Bargirl in … Kaschemmen resp. Table Dance Bars) ändern. Sechs Jahre lang und kein Ende in Sicht. Aber dank des Suffs eh egal.

    Eines morgens wacht sie mit einem Kater neben ihrem ehr miesen Boss auf. Der ist leider Tod, Alkohol und Koks … das Herz. Darauf erstmal einen Drink, dann geht es besser. Leider guckt sie sich um und findet eine Tasche voll mit Geld. Wohl Drogengeld. 91k$. Ne Menge Kohle. Die Option für die nächste Flucht.

    Aber es kommt anders. Obwohl sie die Cops ruft. Aber die kommen nur auf den 2ten Platz … das Rennen machen die Jungs die die Kohle einkassieren wollen. Und 10 Minuten später rockt AC/DC den Laden:

    ( (c) Polar Verlag 2024)

    Und dank ihres Suffs und ihrer Streetsmart-Attitüde ist Alice am Leben und zwei Gangster und zwei Cops sind Tod. Und ihr Boss, der bleibt Tod.

    Und dann ist es endlich soweit: Alice hat genug und flieht. Dorthin, wo sie einmal glücklich war. Und der Boss der Gangster hängt sich an ihre Fersen. Und aus einem Road-Movie mit Rückblenden auf Alice’s Chaos nach dem Tod ihres Bruders wird ein harter Abwehrkampf für Alice.

    Samuel W. Gailey schafft es dabei nicht nur zwei großartige Charakter als Gegenpole aufzubauen (mit wirklich coolen Rückblenden in ihre Kindheit) sondern auch richtig gute Nebenfiguren. Die ganze Story hat Tempo, Hand und Fuß. Perfektes Timing. Coole Sprache.

    Das Kopfkino zündet zuverlässig.

    Und Alice? Vergibt sich ihre Schuld und wird eine trockene Killerin. Und weil sie damit nicht die Heldin in einem Schulbuch sein kann wird es wohl tatsächlich nie in einer Schule im Unterricht vorkommen. Schade – das echte Leben ist die beste Lehre.

    Großartiges Buch!

    Soundtrack dazu: Blind Idiot God – Alice In My Fantasies, was sonst?

    PS: Nur echt mit … Book Trailer

    Und im O-Ton: